Am 22. April 2013 fanden bereits zum zehnten Male die Berliner Gespräche zum Gesundheitsrecht im Hotel Hilton Berlin statt. Diesmal zum Thema „Die „Bürgerversicherung“ – ein Modell für die Zukunft der Krankenversicherung?“.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand der Vortrag des Bundesministers für Gesundheit über das Thema „Wettbewerb als Garant für ein freiheitliches Gesundheitssystem“. Daniel Bahr erteilte der Idee einer „Bürgerversicherung“ eine deutliche Absage; bislang liege insoweit kein Gesetzentwurf vor, so dass ein genaues Konzept für eine „Bürgerversicherung“ gar nicht erkennbar sei. Mit Nachdruck sprach sich der Minister erneut für die Erhaltung der PKV aus. Wettbewerb sei das beste Instrument, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen entsprechend die Allokation der begrenzten Ressourcen zu ermöglichen.
Sehr gegensätzliche Positionen offenbarten das Plädoyer für einen einheitlichen Krankenversicherungsmarkt durch den Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, Herrn Prof. Dr. Klaus Jacobs, und das Plädoyer für das duale Krankenversicherungssystem durch den Verbandsdirektor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, Herrn Dr. Volker Leienbach. Jacobs vertrat die Auffassung, dass durch die Schaffung eines einheitlichen, dezidiert wettbewerblich ausgerichteten Krankenversicherungssystems die Chance bestünde, alle Einwohner an der solidarischen Finanzierung des Krankenversicherungsschutzes zu beteiligen und gleichzeitig einen fruchtbaren Wettbewerb der Krankenversicherungen herbeizuführen. Leienbach hingegen meinte, das deutsche Gesundheitswesen sei auf die Dualität von GKV und PKV angewiesen: Zum einen mache der Wettbewerb zwischen den Systemen eine medizinische Spitzenversorgung möglich; zum anderen benötige die Stabilität des Gesamtsystems angesichts steigender Staatsschulden und der bevorstehenden Überalterung der Bevölkerung zwingend ein gut funktionierendes, privat organisiertes Versicherungssystem.
Der stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Herr Dr. Wolfgang Eßer, legte am Beispiel der Vertragszahnärzte dar, welche Konsequenzen sich aus einer „Bürgerversicherung“ für die sogenannten Leistungserbringer im Gesundheitswesen ergeben könnten. Er wies darauf hin, dass in einem Bürgerversicherungssystem Wettbewerb nur noch auf der Seite der Leistungserbringer stattfände; damit würde die Verantwortung für das Aufrechterhalten einer hohen Versorgungsqualität einseitig auf Ärzte, Zahnärzte und die anderen Leistungserbringer abgewälzt.
Seit Beginn der Diskussion über Modelle einer „Bürgerversicherung“ ist deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit sehr umstritten. Mit Aspekten des Grundgesetzes beschäftigte sich der Vortrag des Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Otto Depenheuer von der Universität zu Köln. Depenheuer vertrat die Auffassung, dass sich die Einführung einer „Bürgerversicherung“ an der verfassungsgerichtlich postulierten und grundrechtlich unterfangenen Bestandsgarantie der PKV stoße. Die Einbeziehung der Beamten reibe sich an den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Insbesondere die Einbeziehung der Landesbeamten erscheine in Ansehung des seit der Föderalismusreform II aus dem Jahr 2006 in der Gesetzgebungskompetenz der Länder liegenden Landesbeamtenrechts heikel.
Den letzten Vortrag hielt der Vorsitzende der Friedrich August von Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft, Herr Prof. Dr. Gerd Habermann. Der Titel seines Vortrags lautete: „Verteilungsgerechtigkeit, Solidarität und Wettbewerb in der deutschen Krankenversicherung“. Mit sehr grundsätzlichen Überlegungen gelangte Habermann zu dem Ergebnis, dass eine „Bürgerversicherung“ unzweckmäßig (auch unter dem Gesichtspunkt „sozialer“ Effizienz) und freiheitsfeindlich sei. Im Falle der Verwirklichung eines solchen Modells sei ein echtes Zwei-Klassensystem wahrscheinlich.
An alle Vorträge schlossen sich intensive Diskussionen an. Mit knapp 150 Teilnehmern, zu denen auch einige Medienvertreter gehörten, war die Tagung wieder einmal sehr gut besucht.